Im September 2013 war Paris für mich
auch nur eine Großstadt. Eine Großstadt mit viel Prunk. Im Grunde
genommen nicht bedeutender als meine Heimat und in jedem Fall, so
dachte ich, würde ich nach diesem Jahr Essen nie wieder verlassen
können. Die Distanz von Familie, Freunden und allem Vertrauten hatte
nicht selten in mir ein Gefühl von Heimweh hervorgerufen.
Ein Jahr später amüsiere ich mich
bestens mit den Franzosen beim Austausch französischer Redewendungen
und den Empfehlungen über die schönsten Orte, die wir aus dem
Hexagon kennen. Den Einwohnern aus Paname (Paris und Umgebung) kann
ich meistens sogar deutlich mehr über ihre Region erzählen als sie
selbst und sie bestätigen mich in meinem Gefühl ein richtiger
Chauvin (Patriot) geworden zu sein. Wonnen der Glückseligkeit
durchfließen mich bei jedem Gedanken an die Gespräche, die Wunder
der Natur und der Menschenhände, die ich in diesem Jahr in
Frankreich erleben durfte. Marianne, ich liebe dich!
Auch die Franzosen haben mich nicht
gerne gehen lassen. Für den letzten Gottesdienst des Schuljahres
hatte ich mit einer Sopranistin einen Chor formiert. Zuvor hätte ich
es nie für möglich gehalten, dass ich jemals Erwachsene (!)
Menschen auf Französisch unterrichten würde. Ich hatte mit ihnen
mehrstimmige Lieder aus dem Gesangsbuch (auch zwei neue) und ein
Stück von Fauré einstudiert. An dem Tag wurde ich auch offiziell
verabschiedet. Ich habe eine Rede gehalten und viele passende Bücher
geschenkt bekommen. Gewiss habe ich dort einen großen Fußabdruck in der Gemeinde hinterlassen, viel Größer ist aber der Eindruck, den ich aus dem Jahr mitnehmen darf. Wir hatten im Anschluss noch ein tolles
gemeinsames Essen und dann gingen die Ferien los. 3 Tage bei den
Freiwilligen in Montpellier und danach für fast einen Monat in die
schöne Normandie auf das ereignisreiche Pfadfinderlager.
Bevor die
Jugendlichen kamen haben wir eine super entspannte und lustige Woche
damit zugebracht, Klos, Duschen und Tische zu bauen und nicht zuletzt
aber auch die WM Spiele zu verfolgen. Zumindest die französischen.
Deutschland – Algerien habe ich im Zelt auf dem Handy verfolgen
müssen. Für Frankreich – Deutschland sind wir aber zu einem
richtigen Public Viewing in den Ort gefahren. Als wir im Ort ankamen,
standen schon über 200 Leute auf dem Marktplatz, alle samt
blau-weiß-rot farbig bekleidet. Kein Grund für mich, sich nicht mit
seiner Deutschlandflagge in die erste Reihe zu setzen und seine
Mannschaft anzufeuern zu bejubeln. Im Laufe des Spiels wurden meine
Kollegen aber immer enttäuschter. Am Ende totale Frustration.
Dennoch: einige Franzosen gratulierten mir. 70 Jahre nach der
Besatzung des Atlantikwalls durch deutsche Panzerdivisionen und der
Invasion der Alliierten am 06. Juni 1944, als die Franzosen im
Viertelfinale gegen die Deutschen rausfliegen, sind sie bereit auf
dem Boden grauenvoller Schlachten einem deutschen zum Sieg zu
gratulieren. Auch dass ich auf der Rückfahrt im Auto mit 3
Verlierern wie wild hupen und bis zum Schluss meine Flagge aus dem
Fenster wehen durfte, bevor ich sie dann bis zum Ende des Lagers an
einen Mast auf dem Feld gehängt habe, zeugt von unglaublicher
Toleranz und Versöhnungsbereitschaft. Das stärkste Bild von
Völkerverständigung, welches ich dieses Jahr erleben durfte.
Für das Lager waren zwei Inspektoren
angekündigt. Einer während Deutschland – Brasilien, der andere
für das Finale.
Diese Füchse.
Tatsächlich konnte ich Deutschland –
Brasilien nur zur zweiten Hälfte am Liveticker verfolgen, da ich am
Abend eine Aktivität geleitet hatte. Also machte ich zur zweiten
Halbzeit das Handy an und traute meinen Augen nicht. 5:0?? Was ist da
passiert. Als die Jugendlichen am nächsten Morgen dann das finale
Ergebnis erfahren durften, hat ein Pfadfinder aus Wut den Fahnenmast
aus dem Boden gerissen. Für das Finale konnte ich aber dann doch
problemlos vom Inspekteur die Erlaubnis erbitten, am Abend das
Gelände verlassen zu dürfen. So lief ich 6km durch die Dörfer
(Anhalter hat nicht geklappt), um dann endlich erst einen Imbiss zu
finden (der leider nach der ersten Halbzeit schließen musste) und
mich dann schließlich in der letzten geöffneten Bar niederzulassen.
Eine Bar mit mir und der Deutschlandflagge, 3 Franzosen und 8
Argentiniern. Atmosphäre angespannt. Den Rest kennt ihr ja selber.
Die Barkeeperin hat mir einen ausgegeben und ich bin jubelnd mit
wedelnder Deutschlandflagge an den Landstraßen durch die Nacht
stolziert.
Natürlich wäre es schöner gewesen,
dieses Ereignis mit Deutschen, oder überhaupt mit jemandem feiern zu
können, auf der anderen Seite konnte ich so den Sieg in die Welt
hinaus tragen und die frustrierten Franzosen mit der Omnipräsenz des
Weltmeisters beehren. Ansonsten ist das Lager auch weiterhin sehr gut
gelaufen. Wir hatten zwar einige Autoritätsschwierigkeiten und 3
Jugendliche nach hause schicken müssen, aber auch eine sehr
intensive und schöne Zeit mit den 22 Jungen und Mädchen.
Unter dem
Motto Cowboy & Indianer haben wir getobt, gebaut, gespielt,
diskutiert, sind gewandert und sogar am Strand gewesen. Ich bin den
Mitarbeitern sehr dankbar für die Verantwortung, die sie mir dafür
überlassen haben. Neben meiner Rolle als Erste-Hilfe-Mann, durfte
ich auch einige Spiele und Vorträge schreiben. Besonders für die
biblischen Themen bin ich von großer Hilfe gewesen. Unser Verhältnis
untereinander war wirklich hervorragend. Das hatte sich erst in dem
Wochenende zuvor ergeben, als wir gemeinsam über unsere Probleme und
Ziele diskutiert haben und den Rotstift in der Programmgestaltung
angesetzt haben. Endlich.
Nach dem Camp bin ich selbst dann noch
als Teilnehmer für eine Woche in die Alpen zu einem katholischen
Kloster mit 1400 weiteren Jugendlichen gefahren. Eine Woche voller
Entdeckungen des heiligen Geistes als auch des Sports und Spaßes.
Ich habe es sehr genossen.
Zuletzt war ich noch eine Woche in
Paris. Paris Plage, der aufgeschüttete Sand am Seine Ufer floppte
aber gegen die echte Sand- und Felslandschaft im Wald von
Fontainebleau.
Nun bin ich wieder daheim. In der Stadt
in der Nähe von Köln, falls dir das was sagt. Ein wundervolles Jahr
ist nun zu Ende. Die schönste Zeit meines Lebens. Was habe ich auch
alles erlebt. Über 15 Konzerte, über 25 Museen und Schlösser, ich
habe einem hochverehrten Filmkomponisten die Hand gegeben, wurde von
meinem Schulchor besucht und ich hab in dem Jahr mehr gesehen als in
meinem bisherigen Leben.
Ein FSJ bietet die einmalige
Möglichkeit, ohne große Verantwortungen und Verpflichtungen ein
Land und sich selbst zu entdecken.
Den puren Luxus zu besitzen, mal just
für einen Tag zu den Loireschlössern zu fahren und seine
Bildschirmhintergründe in live zu betrachten.
Das geschätzte Privileg, die Metro als
reines Transportmittel zu verstehen und sich über 5 Minutenwartezeit
zu ärgern. Bloß nach Paris zu fahren, weil man Freunde besucht,
einkaufen oder ins Kino gehen will. Die Freude so tief in eine
Sprache eingetaucht zu sein und dadurch so viele Beziehungen geknüpft
zu haben.
Ist alles jetzt vorbei? Es fängt erst
an. Fest steht, dass ich anders aus diesem Jahr heraus komme, als ich
herein gegangen bin. Ich war naiv und ängstlich und hätte meine
Arbeit zu Beginn sicher besser machen können, als ich sie geleistet
habe. Doch Wachstum braucht seine Zeit und dieses Jahr hat mir erst
den Weg bereitet, auf dem ich meinen Freiwilligendienst fortsetzen
will und mein Leben bestreiten kann.
Ich danke Euch allen herzlich für die
Gebete und die Unterstützung. Für Eure Interesse und das offene
Ohr. Danke dafür, dass Ihr mir dieses Jahr und diese Zukunft möglich
gemacht habt!
Bisous,
Gabriel